"Religion ist Gottsuche, nicht Identitätssuche" - Vortragsabend mit Pater Schnabel über das Heilige Land

Der Bildungsausschuss Maria Gnaden hatte am 10. September zu einem sehr spannenden Abend mit Pater Nikodemus Schnabel (OSB) eingeladen. Der Pater, der in der Dormitio auf dem Zionsberg in Jerusalem lebt und gerade ein Sabatical im Auswärtigen Amt in Berlin verbringt, hat nicht nur einen packenden Vortrag zum Thema "Mönch zwischen den Fronten: Benediktiner im Heiligen Land" gehalten,

sondern auch Antworten gegeben - zu Anfang auch auf Fragen, die gar nicht gestellt wurden. So z.B. dass unsererseits mehr Demut gegenüber Christen im Heiligen Land angebracht sei, die im Stammland von Judentum und Christentum lebten, und das man daher nicht geringschätzig als Diaspora bezeichnen könne.

Auch die so nicht gestellte, aber häufig im Raum stehende Frage, ob die Christen im Heiligen Land die Rolle der Brückenbauer zwischen den Juden und den Muslimen übernehmen könnten, musste der Pater verneinen. Mit nicht mal 2% der Bevölkerung stellen die Christen, die noch dazu in 54 Konfessionen aufgespaltet sind, eine absolute Minderheit dar. Zuwachs bekämen sie vor allem durch moderne Arbeitsmigranten aus den Philippinen oder Sri Lanka, die oft ausgebeutet würden und unter schlimmen Bedingungen leben müssten.

Anders als bei uns, wo in einem Staat viele Diözesen liegen, erstrecke sich im israelisch-arabischen Raum oft eine Diözese über mehrere Länder. Die Kirchen ignorieren gewissermaßen die nationalen Grenzen und können daher Menschen vieler, sich oft feindlich gegenüber stehender Nationen zusammenbringen. Besonders deutlich werde das auf Weltjugendtagen, wenn die Vertreter der Jerusalemer Diözese ihre israelischen, ägyptischen und arabischen Landesfahnen ausrollen.

Für die anderen Großreligionen der Region sei das Christentum vor allem durch die Taufe spannend, d.h. durch die Möglichkeit, ohne familiäre, ethnische oder kultische Wurzeln in die Religionsgemeinschaft und damit gewissermaßen in eine Menschheitsfamilie aufgenommen werden zu können. Wir sollten daher die Taufe durchaus stärker in unserer Religion akzentuieren - sie stellt ein Alleinstellungsmerkmal dar.

Beim Themenkomplex "Religion und Terror" werden häufig die Extrempositionen "Religion ist schuld am Terror und sollte daher möglichst verschwinden" vs. "der Terror hat nichts mit Religion zu tun", artikuliert. Beide Positionen sind problematisch.

Wer sich in Jerusalem frühmorgens auf die Straßen begebe, sehe gläubige Frühaufsteher aus allen Religionen, die nicht von Hass getrieben seien, sondern von der Suche nach Gott. Solche wahre "Gottsucher" gebe es in allen Religionen, sie stellten die Mehrheit dar. Wie im Fußball gebe es auch in der Religion begeisterte Anhänger, die ihren Verein unterstützen und im Stadion brennen für die Sache, andererseits gibt es auch immer wieder eine kleine Gruppe von Hooligans, denen es nicht um den Fußball an sich gehe, sondern darum zu randalieren und die Begeisterung der anderen kaputt zu machen.

Auch in den Religionen seien Hooligans unterwegs, die die Welt in Schwarz und Weiß einteilen, die sich für das Wesentliche des Glaubens nicht interessieren, sondern ein identitätsstiftendes Gruppengefühl in der Religion suchen und dies z.T. auch gewaltsam ausleben. Dies sollte jedoch - ähnlich wie beim Fußball - kein Grund sein, auf die Religion ganz zu verzichten. Im Gegenteil: Im Sinne der wahren Gottsuche sollte mehr Religion gewagt werden.

Auf die Frage, wie das Zivilrecht in Israel mit den verschiedenen Religionspraktiken umgehe, antwortete Pater Schnabel, dass es dort fünf konkurrierende Rechtssysteme gebe und zum Beispiel die Eheschließung nicht staatlich, sondern nur innerhalb der Religionen organisiert sei. So paradox es klingen mag, Israel finanziert beispielsweise Scharia-Richter des muslimischen Rechtssystems.

Ebenso wie an der Taufe lassen sich auch an der christlichen Vorstellung der Trinität die Unterschiede zwischen den drei monotheistischen Religionen herausarbeiten: Während der christliche Gott als in sich dynamisch gesehen wird, als ein Gott, der in der Sehnsucht nach einem Du auf den Menschen bezogen ist, stelle sich bei der muslimischen Gottesvorstellung eines sehr fernen, in sich selbst ruhenden Gottes die Frage, warum Gott sich die Schöpfung antut, warum er das Chaos in der Welt ansieht.

Das Sabbatjahr Pater Schnabels geht bald zu Ende. Ein Jahr, in dem er dem Auswärtigen Amt mit seiner Expertise über die Religionen, vor allem die des Nahen Ostens, zu Diensten war. Denn mag auch in Deutschland nur ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung sich als religiös bezeichnen, weltweit sind es 84% mit steigender Tendenz. Daher liegt es nahe, dass auch die deutsche Diplomatie den Faktor Religion nicht mehr übersehen kann.

Buchtipp:
Pater Schnabel, Nikodemus: Zuhause im Niemandsland. Mein Leben im Kloster zwischen Israel und Palästina (Herbig Verlag, 2015).