Zehn Jahre danach - weshalb die Betroffenen sexuellen Missbrauchs in der Kirche immer noch sprechen! - Beeindruckender Vortrag von Matthias Katsch in Maria Gnaden

Der Bildungsausschuss der Gemeinde Maria Gnaden hat zehn Jahre nach dem Bekanntwerden der Missbrauchsfälle am Canisius-Kolleg in Berlin, Matthias Katsch, einen Betroffenen, zu Vortrag und Gespräch eingeladen. Birgit Wilke moderierte die Veranstaltung.

Genau auf den Tag vor zehn Jahren, am 14. Januar 2010, sei es gewesen, so Matthias Katsch, dass er sich zusammen mit zwei ehemaligen Mitschülern des Canisius-Kollegs an den damaligen Rektor Pater Mertes wandte, um ihm vom Missbrauch an ihm und mutmaßlich an vielen anderen Schülern in den 70er und 80er Jahren zu berichten. Am 28. Januar erschien dann ein Bericht in der Berliner Morgenpost, in dem die Missbrauchsfälle - erstmals in der katholischen Kirche in Deutschland - öffentlich bekannt gemacht wurden.

Matthias Katsch war von 1973 bis 1981 Schüler am Canisius-Kolleg und berichtete beim Vortrag in Maria Gnaden davon, dass er das ihm in dieser Zeit Widerfahrene zunächst mehr oder weniger verdrängte, es nicht mit der damals auch schon gelegentlichen medialen Berichterstattung über andere Fälle an anderen Orten in Verbindung brachte. Er hatte sich Jahre lang nicht mehr daran erinnert, was ihm geschehen war.

Erst als er 2005 seinem Peiniger mehr oder weniger zufällig wieder begegnete, brachen die Erinnerungen schockartig über ihn herein und beeinträchtigen ihn bis heute.

In der Folge des Bekanntwerdens der Missbrauchsfälle hat sich eine dreistellige Zahl an Schülern bei Pater Mertes gemeldet. Die meisten der Fälle sind heute verjährt und damit strafrechtlich nicht mehr relevant.

Umso wichtiger sei nach der ersten Veröffentlichungswelle die Aufklärung der Verbrechen gewesen, die Hilfe für die Betroffenen und das bis heute nicht gelöste Problem der Entschädigung. Der von der Bundesregierung damals initiierte „Runde Tisch“ sei nicht optimal für die Forderungen der Betroffenen gewesen, da er der Kirche „Auswege“ erlaubte und sie schnell aus dem Fokus der Diskussion geriet. Matthias Katsch gründete daraufhin den „Eckigen Tisch“, um die systemischen Strukturen des Missbrauchs aufzudecken und Entschädigung für die Opfer zu fordern.

Seit Veröffentlichung der MHG-Studie 2018 seien erstmals Gespräche über Aufarbeitung möglich, so Katsch, und es könne die Frage der Entschädigung gestellt werden. Darum also müsse nach zehn Jahren immer noch über den Missbrauch gesprochen werden.

Beim Missbrauch in der katholischen Kirche handelt es sich um ein „systematisches Vergehen“, dem man Jahrzehnte lang nur durch Vertuschung und Versetzung der Täter in andere Gemeinden begegnete. Danach konnten diese in den meisten Fällen unbehelligt neue Verbrechen begehen. Papst Franziskus selbst sprach von einem „System des Missbrauchs und der Vertuschung“. Kardinal Marx räumte ein, dass die Kirche insgesamt versagt habe und eine Aufarbeitung von außen unerlässlich sei.

Nach Matthias Katsch habe der Missbrauch viel mit den Machtstrukturen in der kath. Kirche zu tun, mit der Sexualmoral der Kirche, ihrem Umgang mit Homosexualität, dem Zölibat und der Individualbeichte, die insbesondere vor Sakramenten wie der Erstkommunion erfahren werde. So korreliere das Durchschnittsalter der Missbrauchsopfer in der kath. Kirche mit deren Lebensalter bei der Erstkommunion, das Durchschnittsalter der evangelischen Missbrauchsopfer mit deren Lebensalter bei der Konfirmation.

Auf die Frage aus der Zuhörerschaft, wie man Machtstrukturen in der Kirche aufbrechen könne, schlägt Matthias Katsch eine Entkoppelung von Gemeindeleitung (Laien) und seelsorgerlicher Tätigkeit / Sakramentenspendung (Priester) vor.

Den Synodalen Weg hält er grundsätzlich für richtig, die innerkirchliche Diskussion dürfe aber nicht die Forderung der Opfer nach Entschädigung überlagern.

Was die Entschädigung anbelangt, so solle die Kirche nicht für die Verbrechen einzelner Täter zahlen, sondern für ihr Versagen insgesamt, für die Verwüstung von Biographien, die nicht selten zu Depression, Sucht und Herzerkrankungen führte.

Berechnet nach einer zahlenmäßig „durchschnittlichen“ Lebensbiographie gelangen die Mitglieder des Eckigen Tisches zu einer einmaligen Entschädigungsforderung von 300.000 EUR pro Opfer. Dies sei aus den Vermögenshaushalten der meisten Bistümer bestreitbar. Die Kirchensteuer solle nur zum Ausgleich zwischen ärmeren und reicheren Bistümern herangezogen werden.

Da das Faktum des Missbrauchs leider immer noch nicht der Vergangenheit angehöre, weist Matthias Katsch auf die Fachberatungsstellen für Betroffene und das Angebot www.hilfetelefon.de (Gewalt gegen Frauen) hin.

Damit auch der Eckige Tisch e.V. seine Beratungstätigkeit weiterführen kann, bittet der Verein um Spenden auf das Spendenkonto:

Spendenkonto Eckiger Tisch e.V.

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oder direkt unter

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Weitere Informationen zum Eckigen Tisch e.V. finden Sie unter https://www.eckiger-tisch.de/


Buchtipp:

Katsch, Matthias: Damit es aufhört. Vom befreienden Kampf der Opfer sexueller Gewalt in der Kirche, (Nicolai Publishing & Intelligence, 2020), 168 S.

Auch als E-Book erhältlich.